Mein erster Eindruck von Russland ist vor allem grau, düster und schmutzig. Als wir im Anflug auf St. Petersburg über die matschigen Felder mit den kahlen Bäumen flogen, fühlte ich mich in einen verblichenen Bildband der Sowjetunion versetzt. Sogar die Autobahn scheint von oben gesehen dreckig. Zwischen den alten Fabrikgebäuden (die mich unweigerlich an das Atomkraftwerk von Springfield erinnern…) hat es grosse hässliche, braune Flecken, die kein Acker, kein Wald und keine Müllhalde sind, sondern nach Lust und Laune ein bisschen alles… Gut, das ist jetzt von oben betrachtet. Vielleicht hat ja schon alles seine Ordnung (naja..:-P) Immer wieder überfliegt man alte Barracken, von denen man nicht weiss, ob man sie eher für KZs oder Gemüsezuchthäuser halten soll. Vertrauenserweckend sah es jedenfalls nicht aus…
Im Flughafen angekommen habe ich meinen Koffer gepschnappt und hab dem Zollbeamten am Ausgang die Medikamente für Mariannes Freundin unter die Nase gehalten. Er hat nur kurz drauf geschaut und mich dann kommentarlos durchgewinkt, hätte auch Opium transportieren können;-) In der Wartehalle wartete bereit der Fahrer von Liden und Denz auf mich, er war sehr freundlich und sprach akzeptabel Englisch. Zusammen mit einer Deutschen haben wir uns nach etwa 20 Minuten auf den Weg zu meiner Gastfamilie gemacht.
Autofahren ist hier ein bisschen „männlicher“ als bei uns, das heisst es fährt jeder so schnell er will (die Nummernschilder sieht man vor lauter Dreck eh nicht mehr), es wird per Blinker geellbögelt was das Zeug hält (der Stärkere gewinnt...) und Fussgänger werden schlichtwegs weggehupt (wie auch alles andere, was im Weg steht). Besonders lustig finde ich, dass über den Ampeln sowohl für die Fussgänger als auch für die Autos ein Countdown angezeigt wird, wann die Ampel wieder auf rot schaltet…
Das Haus meiner Gastfamilie sieht von aussen ziemlich unscheinbar aus (an St. Petersburger Verhältnissen gemessen….) Dafür blieb mir der Atem stehen, als ich die „Eingangshalle“ betrat. Die ist so etwa 3-5 Meter hoch (ähm ja, meine eingene Schätzung), und sie muss einmal sehr prunkvoll gewesen sein. Die Decke ist mit hübschen Stuckaturen bestückt, allerdings schon etwas in die Jahre gekommen. Die Farbe an den Wänden ist verblichen und am abbröckeln, und irgendwo steht noch so was in der Art „Griechische Säulen“. Ich hab meine Überraschung jedoch schön für mich behalten. Als ich aber dann mit meinem Koffer und Chauffeur in dem etwa 1x2x2 Meter grossen Lift einquetscht war, verloren meine Nerven die Nerven;-) Das Ding rüttelt, ächzt und stöhnt so entsetzlich, man glaubt jede Seilwinde einzeln knirschen zu hören… Ich hab mir geschworen, fortan per Treppe in den 4. Stock zu steigen. Alleine werde ich in diesen Kasten niemals einsteigen!! Ich hab nur noch gelacht, leise zwar und so, als ob ich husten müsste, dafür die ganze Fahrt lang. Die Situation war einfach zuuuu komisch lol.
In der Wohnung angekommen wurde ich auf Russisch von einer etwa 60 jährigen Frau begrüsst, Babuschka Galina. Später kam noch ihre Mutter, Babuschka Valentina hinzu. Eigentlich sollte noch die Tochter von Galina da wohnen, die Englischlehrerin ist, aber wie es der Zufall so wollte, liegt die arme Frau derzeit im Spital… Ähm ja, bleibt noch zu erwähnen, dass die beiden Frauelis kein Wort Englisch sprechen (wirklich keines!!), was nicht immer ganz einfach ist. Hier ein Hier ein Beispiel, wie das mit der Kommunikation so funktioniert. Das Problem ist auf den 1. Blick nicht weiter kompliziert: Ursina hat Durst. Also bastelt sie aus Sprachführer und Wörterbuch den fantasievollen Satz „Ich möchte Glas Wasser“ zusammen. Ihrer Ansicht nach würde das Ja chotela stakan wada heissen (wenn man die Grammatik beiseite lässt:-P). Ich zeige den Satz der Grossmutter, welche mir zuerst Mal klarmacht, dass es wadi heisst, und zwar nicht einfach wadi, sondern wadiyjiyiy mit diesem komischen i, das kein.. ähm, also ich jedenfalls nicht aussprechen kann;-) Okay. Dann eben wadiyiyiyi. Ich folge ihr in die Küche, wo sie mir einen Tee andrehen möchte, die gute Frau. Tee hatte ich aber schon genügend, und gegen Durst hilft das auch nicht viel. Wadiyiyi will ich!! Es folgt eine längere Diskussion mit Nein Fingeraufteetasse und Ja Fingeraufglas. Zwischendurch erklärt sie mir im schönsten Russisch, wie der Teekocher funktioniert. Charascho…:-P Mit choladna, (heisst meiner Meinung nach kalt) und etwas Körpereinsatz gibt sie mir schliesslich eine Art Blumenvase, die tatsächlich Wasser enthält! Allerdings sollte man hier das Wasser nicht vom Hahnen trinken (leiderleider, sonst hätte ich mir schon längst selbst geholfen (frei nach Wilhelm Tell;-)), und ich vermute, dass in dem Krug wirklich feinstes St.Peterburger Hahnenburger war (insbesondere, nachdem ich beim Zähneputzen den gleichen komischen Geschmack im Mund hatte…) Naja, das nächste Mal werde ich einfach Vodka bestellen, da weiss man, was man hat;-) (Es gibt nämlich keine einzige Mineralflasche im Haus, dafür diverse andere lol.)
Ich habe mich den ganzen Abend über so blöd gefühlt, weil ich kein Wort verstand, wenn die beiden auf mich einredeten und ich ihnen auch nicht klar machen konnte, was ich wollte. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie die einfachsten Sachen so schrecklich umständlich werden, wenn man nicht miteinander reden kann… Aber es ist eine spannende Erfahrung!
Am nächsten Morgen habe ich dann noch meinen französischen Mitbewohner kennen gelernt. Er war am Anfang etwas verwundert, dass ich ihm mit dem Übersetzen einiger Wörter vom Englischen ins Russische nicht helfen wollte, weil er dachte, ich würde zur Familie da gehören;-) Er heisst Benoît und wie sich herausstellte, „spricht“ er noch schlechter Russisch als ich – man stelle sich mal so was vor:-P Dafür hat er Germanistik studiert und ist echt easy drauf. Zudem ist er Polizist, sieht ziemlich stark und krass (russisch) aus und hat einen besseren Orientierungssinn als ich (schwiiierigschwierig:-P) Trotzdem mussten wir uns am Montag auf dem Heimweg halt doch als Ausländer outen und zähneknirschend die Stadtkarte hervorholen… Ansonsten gebe ich mir in der Stadt immer grosse Mühe, viel russisch und wenig touristisch auszusehen, sprich: Undurchdringliches Gesicht, Blickkontakt vermeiden und mit schnellem Schritte so tun, als ob man wüsste, wohin man läuft. Macht Spass xD. Die Metro liegt unglaublich tief unter der Erde. Dazu kommt die unerträgliche Hitze dort unten, aber den Russen scheint das nichts auszumachen, die warten total cool mit Handschuhen und Mantel auf die Metro, während ich mir Schal und Jacke vom Leib reisse um nicht völlig verschwitzt in der Schule anzukommen.
Das Schulgebäude sieht von aussen gewaltig schrottig aus, aber innen ist es noch recht schön, jedoch wie alle Gebäude hier total überheizt. Die Heizungen werden von der Stadt reguliert, und solange es draussen kalt ist, läuft alles auf Vollturbo. Abstellen geht nicht. Wie man sich gegen die voll aufgedrehten Heizungen wehren kann , wird in der Cafeteria eindrücklich demonstriert: Einfach die Klimaanlage dazu laufen lassen... In den Schulzimmern sind die Fenster immer weit geöffnet, weil man sonst in der Badehose dasitzen müsste. Soviel zum Kyoto-Protokoll:-P
Noch ein bisschen was zur Wohnung meiner Babuschkas: Sie war früher wohl mal eine Kommunalwohnung, ist aber echt schön. Zwar alt, aber in einem gewissen Sinne stilvoll), sehr hohe Räume (bin ja sehr schlecht im schätzen, aber 2.5 bis 3 Meter hoch sind sie schon), eine Art Stuckatur an der Decke, und genauso überheizt wie alle Gebäude hier. Das Haus wurde 1863 gebaut; eine Tatsache, die mich immer wieder mit Ehrfurcht erfüllt. Was diese alten Steine alles „erlebt und gesehen“ haben, ist schier unfassbar: Den ganzen Pomp der Zarenzeit, Revolutionen, fast zweieinhalb Jahre Belagerung im 2. Weltkrieg, Sowjetzeit, die Wende… Man fühlt sich so klein und unbedeutend, wenn man in dieser Wohnung lebt und ein bisschen darüber nachdenkt, was um dieses Haus herum schon alles passiert ist. Wie alles so vergänglich ist und man selbst nur ein winziges Puzzlestück in einem endlosen Bild ist… Babuschka Valentina ist 85 Jahre alt und ich würde sooo gerne erfahren, wie sie sich während den verschiedenen Regimen gefühlt und wie sie gelebt hat. Aber dafür muss ich noch ein bisschen Wortschatz lernen:-P Weiss auch nicht, ob sie überhaupt darüber reden würde. Aber nur schon das Wissen, dass diese Frau ein so bedeutsames Stück der Weltgeschichte hautnah miterlebt hat und mir trotzdem immer so süss zuzwinkert und ganz normal Tee kocht, löst irgendwie ein spezielles Gefühl aus und man merkt mal wieder, dass es bedeutendere Dinge im Leben gibt, als die schönsten Winterstiefel zu besitzen…
Aber bei allem Respekt vor dem Alter dieser Wohnung, es stresst trotzdem, dass ich die Fenster nicht öffnen kann, mir die ganze Nachbarschaft ins Zimmer schauen kann und es keine Rollläden hat…. (Aber frau kann sich da gut helfen und einfach ein Haarband über die Augen ziehen;-)
Fazit: Ich liiiiiiiiiebe es hier zu sein und mir geht es super!!! Auch wenn ich mich manchmal frage, wie man eigentlich auf die abgedrehte Idee kommen kann, für 3 Monate nach Russland zu gehen;-)
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