Sonntag, 25. September 2011


Gestern war es soweit: Ich wurde als intellektuelles Greenhorn entlarvt.
Völlig unbekümmert habe ich bei einem netten Gespräch bei einem Glas Mochito gefragt: "Was ist Remark?" In meiner Naivität habe ich doch tatsächlich gelaubt, es würde sich um ein russisches Wort handeln, das ich nicht kenne (gibt ja noch ein Paar davon). Die betretene Stille und die ungläubigen Blicke sollten mich eines Besseren belehren.
-"Du kennst Erich Maria Remarque nicht?!"
-"Äh nein, denke nicht..."
- "Die 3 Kameraden?"
-"Nein.."
- "Die Nacht von Lissabon?"
Hmm. Ich habe jetzt auf Wikipedia gelesen, dass auch "Im Westen nichts Neues" von ihm geschrieben wurde, und DAS kenne ich immerhin. Aber das haben sie natürlich nicht gefragt. Nun ja.
Blöd nur, dass ich 20 Minuten davor auch noch zugegeben habe, den eben gezeigten Film zwar durchaus spannend, aber ein bisschen zu intellektuell für meinen Geschmack gefunden zu haben. (Ja, der Schnitt war fantastisch; ja, die Personenkonstellation psychologisch raffiniert - aber warum musste nur der Junge mit seiner Tante in die Kiste steigen und danach auch noch ihren Hund im Pool ertränken? Ich begreife einfach nicht, warum sogenannte Künstler ständig einen Inzest in ihre Werke bringen müssen - wir haben nun mal wirklich wichtigere Probleme!)

Wie auch immer. Eigentlich sollte man ja wissen, dass man Arbeitskollegen und Mochitos nicht miteinander in Verbindung bringen sollte;-)

Wir hatten dieses Wochenende nun die Ausstellung der Kunstwerke aus Müll, weshalb ich am Freitag bis um 1 mitgeholfen habe, alles herzurichten. War sehr anstrengend, aber es war auch schön, denn am Schluss sah es wirklich ganz ansehnlich aus, hätte ich nie gedacht. Gestern war dann Preisverleihung (und dann eben der inzest
iöse Film Ping-Pong) usw.


Naja, ansonsten war der heute Tag eigentlich recht abenteuerlich, da ich mit Dmitiri und seiner Freundin auf eine kleine Spritztour aus der Stadt raus mitgefahren bin. Mir ist natürlich klar, dass ein junger Russe mit zwei Ladies im Auto kaum wie ein zahmes Kätzchen fahren wird, aber dann habe ich doch ein paar Mal leer geschluckt. Aggressiv ist nur der Vorname seines Fahrstils. Dazu hat er manchmal telefoniert, manchmal das Navi bedient und im Hintergrund lief in ohrenbetäubender Lautstärke "und deine seele verbräääääääääääääännt" bummbummbummbumm (von seinem Musikgeschmack habe ich euch ja schon erzählt;-). Aber ich muss sagen, sein Zickzackkurs und die spontane Erschaffung eines dritten Fahrstreifens war sehr effektiv. Und warum soll man nicht auf der Busspur vorpreschen, wenn sowieso niemand da ist?

Zwischendurch hat er sich mal erkundigt, ob ich Angst hätte, da ich den Sicherheitsgurt umgelegt hätte - denn das sei in der Stadt nicht nötig, die Polizei sehe das nicht...

Und heute Abend schliesslich, da habe ich mich mit einer kaukasischen Russin getroffen, die ich mal zufällig auf dem Nevskij getroffen habe. Es war fantastisch mit ihr, ich habe ihr ein bisschen Englisch beigebracht und dabei mehr Russisch als sie Englisch gelernt - und sie hat mir gezeigt, wie man sich für ein Foto richtig posiert:-) Ehm ein bisschen dumm ist, dass sie auch oft von ihrem Cousin erzählt hat und wir den dann auch "zufällig" auf dem Nachhauseweg getroffen haben - ja. Ich finde es eigentlich gemein, solche Vorurteile zu haben ("war ja klar, dass die mich gleich verheiraten will"), aber weil ihre Kultur so anders ist, habe ich ein bisschen Angst, etwas falsch zu machen, was dann als Interesse gedeutet wird und am Schluss alle total böse auf mich sind. Habe vorsichtshalber meinen Facebookstatus auf "in a relationship" gesetzt, vielleicht hilft's ja.


Donnerstag, 22. September 2011

22.Sept.11

Heute war kein besonders schöner Arbeitstag - alle schienen so gestresst und zickten rum ("nee, das ist nicht die Aufgabe meiner Abteilung, das fass ich nicht an"). Kira hat mich zudem eine Aufgabe nicht machen lassen, die ich eigentlich gerne übernommen hätte (ein Kurierdienst), sie meinte mein Russisch wäre nicht gut genug, hat mich echt genervt. Ich meine, ich habe inzwischen schon mehr als 4 Monate in Russland überlebt, russ. Emails geschrieben und eine Übersetzung gemacht - da soll ein doofer Kurierdienst zu schwer sein?? Naja, aber im Nachhinein habe ich dann rausgefunden, dass es wahrscheinlich eher mit internen Streitereien zu tun hatte und sie "ihre" Praktikantin nicht an eine andere Abteilung ausleihen wollte.
Trotzdem, ich merke schon, dass ich für diesen Job eigentlich bessere Sprachkenntnisse besitzen sollte, und das deprimiert mich manchmal ziemlich. Besonders, wenn man sieht, wie die zweisprachig Aufgewachsenen drauflosplappern können, ohne dafür einen Finger gerührt zu haben, während man sich selbst total anstrengt und dann doch keinen geraden Satz sagen kann. Gleichzeitig ist es auch ein grosser Ansporn, mich ernsthaft mit dieser (ver.. sch...)-Sprache auseinander zu setzen. Ich habe deshalb eine Russisch-als-Fremdsprache-Studentin engagiert, die mir morgen die erste Lektion erteilen wird. Bin gespannt. Ist so ne Art Hassliebe, die ich zum Russischen pflege. Es scheint mir manchmal, dass ich sie aus Trotz lerne und nicht zugeben will, dass sie stärker ist als ich, aber andereseits finde ich sie auch sooo schön und endlos interessant...
Zudem schaue ich mir in jeder freien Minute die russische Version von How I Met Your Mother an, da verstehe ich schon recht viel. Echt witzig, die Geschichte ist genau die gleiche, nur ist sie total russifiziert; sprich sie spielt in Moskau und Ted heisst Dima etc. Wer mehr sehen will: http://video.bigmir.net/show/168760/ Lohnt sich!
Das wäre mal so das wichtigste in Kürze gewesen. Aber ich wollte euch ja noch vom Bären erzählen. Vot on! (Da ist er!)
Ich habe ihn auf einem Samstagnachmittagspaziergang getroffen. Einfach so auf einer Wiese! Niemand hat sich besonders dafür interessiert, und da ich nicht so der Turi-Fotograf bin, bin ich auch nicht näher hingegangen, aber es hat mich echt fast umgehauen, einen leibhaftigen BÄREN vor mir zu sehen. Na gut, er war klein (und sooo süss!), aber trotzdem. Katja hat nicht verstanden, was ich mich so darüber aufrege, der sei schliesslich oft da - wobei, manchmal sei es auch ein Affe.. aha;-)
Nebst dem Bären habe ich auch noch mind. 20 Bräute gesehen - alle wollten sie ein Bild mit der Peter-und-Paul-Festung im Hintergrund, und um das zu kriegen, sind sie einander beinahe auf die Schläppe getreten... (Ihr müsst wissen, eine Hochzeit ist hier ein Big Event und das wichtigste daran - so scheint es jedenfalls - sind die Fotos).
Auf dem nächsten Bild sind grad 4 Brautpaare:
Ok, ist ein bisschen klein und tönt vielleicht nicht nach vielen, aber es war schon ganz lustig, diese Ansammlung.
Am Samstag hatten wir übrigens eine kleine Strassenaktion "Lern Deutsch!" (uups, eigentlich nicht "wir", denn es war die Sprachabteilung und ich gehöre ja zur Programmarbeit:-P). Ist aber nicht weiter interessant.
Am Sonntag war ich in einem riiiiiesigen Einkaufszentrum gleich um die Ecke hier- 250 Geschäfte (nicht Lädeli, sondern Geschäfte), auf 5 Stockwerken - oh, und nicht zu vergessen die 10 (?) Kinosäle. Ich war 2.5 Stunden da, einfach nur durchgelaufen, kaum Shopping. Da können wir mit unserer Shopping-Arena einpacken:-P Und das beste: Seit ich das letzte Mal hier war, hat sich viel verändert, und es gibt nun auch mehrere H&M's, einer nur 2 Minuten von meinem Haus entfernt:D (allerdings bin ich Abends meist zu müde, um noch shoppen zu gehen:-P).
Am Sonntag Abend habe ich mich mit Katja getroffen - sie ist Russin, studiert aber Deutsch und ich kenne sie von einem früheren Besuch in Piter. Ist super, so jemanden wie sie zu kennen, denn hier läuft alles über Beziehungen, und so hat sie mir beispielsweise auch die Russischlehrerin vermittelt. Und sie ist unglaublich gastfreundlich und hilfsbereit.
Naja sonst, von der Stadt habe ich noch nicht viel gesehen, die Arbeit nimmt mich wirklich total in Anspruch. Abgesehen davon, dass die Heizung noch nicht läuft und ich jede Nacht von einer Horde Mücken angegriffen werde (vornehmlich im Gesicht, herrlich!), geht es mir sehr gut! Ich freue mich auch immer sehr über eure Rückmeldungen, vielen Dank! Küsschen

Dienstag, 20. September 2011

Kunst aus Müll

Guten Abend,
ich bin grad ziemlich erschöpft, da ich heute bis um halb 9 im Institut war, weil wir zusammen mit den Franzosen einen Umweltwettbewerb veranstaltet haben, wo kleine und grosse Kinder aus Müll ein Kunstwerk basteln sollten, um auf die Umweltproblematik aufmerksam zu machen. An und für sich eine tolle Sache, nur leider ist Kira, meiner Betreuerin, ein kleeeiner Fehler unterlaufen, indem sie statt 300x300 mm 300x300 CM auf die Flyer gedruckt hat - und ihr könnt euch gar nicht vorstellen, zu welch atemberaubenden Projekten dieses Missgeschick die Kinder angetrieben hat. Anfangs war's ja noch lustig, das Kira's ganzes Büro mit grossen Kartons voller Kunstwerke vollzustellen (und sogar Frau Frankenberg, ST-Leiterin, hat Besuch von Paul, der menschengrossen Riesenkrake bekommen), aber als es dann an's auspacken ging, verging mir der Spass.
Es waren sage und schreibe 95 Kisten, die ich auspacken musste. Wobei nein, zuerst musste ich alle Namen auf eine Liste schreiben und Etiketten drucken, um die Dinger anzuschreiben.
Das Russische hat wie das Deutsche auch eine Schnürlischrift, und meine Faulheit, diese gründlich zu lernen, hat sich letzte Woche definitiv gerächt! Mein Gott, für mich sieht einfach alles nach viel Kringelkrungel aus... Jedenfalls, nachdem ich einen halben Tag lang auf dem Boden herumgekrochen bin um die Namen all der Nataschas und Nikitas aufzunehmen (Praktikantin halt:-P), mussten wir nun heute alle "Kunstwerke" auspacken und ausstellen, damit eine Schüriii (deutsche Betonung bitte!:P) kurz durchspazieren und 4 Gewinner auswählen konnten.
Das war aber noch immer nicht das Schlimmste. Denn das kommt jetzt: Alles wieder in Kisten verpacken, so dass sie Morgen ins Kinotheater gefahren werden können, wo übers Wochenende die Preisverleihung und Ausstellung stattfindet. Furchtbar ineffektiv. Und die Hälfte der Kunstwerke hat Etikette verloren - ein einziges grosses Durcheinander.
Ich wusste genau, wie man das ganze 3 Mal einfacher hätte machen können, aber ich habe schon gelernt, dass man als Praktikantin nicht zu viel denken sollte und bin darum ganzganz ruhig geblieben und habe alles so falsch gemacht, wie sie es wollten (naja gut, die Namen hätten sie gerne richtig gehabt, nehme ich an:-P)
Kira hat mich gefragt, ob in Deutschland wohl auch so viele Kinder teilgenommen hätten - denke nicht. Ich weiss nicht, aber irgendwie hatten die Arbeiten einen sovjetischen Touch. Habe ich natürlich nicht gesagt. Aber irgendwie habe ich schon das Gefühl, dass dieses Wettbewerbsdenken daher kommt..

Dafür war's gestern Abend nett. Dimitrij hatte Geburtstag, und wir haben Kuchen und Eis gegessen und eine Flasche Martini getrunken. Danach war's endlich schön warm (die Heizung läuft noch nicht, und meine Decke ist dünn:-/). In der Gastfamilie fühle ich mich noch immer ausserordentlich wohl.

Ja. Von den 20 Bräuten und dem Bären und Katja erzähle ich morgen. Oder übermorgen:-)
Liebe Grüsse und danke für alle Mails und Kommentare, ich schreibe euch so bald wie möglich, aber jetzt muss ich erst mal schlafen:-) xxx

Donnerstag, 15. September 2011

ещё раз Питер

Дорогие,

ich schreibe auch aus meinem Zimmer im Zentrum des Zentrums von St. Petersburg, wie es gar nicht besser sein kann! Meine Gastfamilie wohnt gerade mal eine Seitenstrasse vom Nevskij (vergleichbar mit Bahnhofsstrasse (oder meinetwegen auch Multergasse :D) entfernt; ich erreiche meinen Arbeitsort zu Fuss in etwa 20 min. und ich bin umgeben von Schuhläden, tollen Hotels und einem 24h-Einkaufszentrum und einem Sportzentrum.
Die Wohnung lässt sich am besten mit unbeschreiblich beschreiben. Um trotzdem einen Versuch zu wagen und euch eine Ahnung zu geben: Es herrscht totales Durcheinander. Mein Gastbruder versucht (!) sich überall gleichzeitig als Renovateur. Als ich ankam, gab's keine Türe zum Badezimmer. In der Küche findet man keine freie Abstellfläche. Das Wasser zum Duschen wird direkt mit Gas aufgeheizt (NOCH schlimmer als die Duschen in Irland!!). Alles liegt unter einer Staubschicht begraben (als Ludmilla mir die Wohnung zeigte, hat sie ständig mit dem Finger einen Strich in den Staub gezeichnet und sich entschuldigt, dass sie noch keine Zeit zum Putzen hatte). In meinem Zimmer steht ein Radion von 1930. Meine Nachttischlampe stammt aus der gleichen Zeit. Und es ist so furchtbar gemütlich. Ich fühle mich total wohl und ich lache mit, wenn die Mayonnaise auf den Boden tropft und niemand sie aufwischt. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich in einer derartigen Wohnung wohl fühlen könnte, aber das Durcheinander ist irgendwie so sympathisch und kreativ, passt einfach. (Ich habe trotzdem alle Schubladen gereinigt, bevor ich meine Sachen reingelegt habe:-)

Meine Gastmutter Ludmilla arbeitet als Psychotherapeutin und füttert mich regelmässig (obwohl wir ausgemacht hatten, dass ich mein Essen selber besorge). Sie ist total nett, spricht geduldig russisch mit mir und kümmert sich wirklich gut um mich.
Mein Gastbruder ist etwa 27, spricht prima englisch und ist überzeugt, dass die kaukasischen Muslime für sämtliche Probleme auf dieser Welt (oder zumindest in Russland) verantwortlich sind. Da ich jedoch weder das eine noch das andere bin, behandelt er mich sehr zuvorkommend. Er hat mich sogar auf ein Konzert eingeladen: http://www.youtube.com/watch?v=V64ZDzy3X4w&feature=related . Ääääh ja, ich habe noch nicht defintiv zugesagt, haha. (Seine Freundin habe ich übrigens auch schon kennen gelernt;-)

Die Leute am Goethe Institut sind auch super, jedenfalls diejenigen, mit denen ich zu tun habe. Kira, meine Betreuerin oder so was, ist sehr locker und sympathisch, sie ist schön jung und sie spielt sich auch keineswegs auf. Besonders erfreut bin ich über die anderen zwei Praktikantinnen, wir hatten bereits heute schon so viel Spass und sind total auf der gleichen Wellenlänge. Wir haben auch schon Pläne für's Wochenende und mir wird's bestimmt nicht langweilig. Und mein Hochdeutsch geht mir auch schon viel flüssiger von der Zunge als heute Morgen.
Was ich heute gemacht habe: 1000 Leute und Räume kennen gelernt und alles wieder vergessen; ein Quiz über Deutschland zusammengestellt; eine Filminhaltsangabe gekürzt und zum Kinoabend eingeladen; mir Fragen über Til Schweiger überlegt; die "Teestunde" mit den andern zwei Praktikantinnen abgehalten (dort können die Studenten des GI vorbeikommen und mit uns auf Deutsch über dies und das Quatschen); einen Apéro aufgebaut; an der Eröffnung einer Comicausstellung teilgenommen (po russki); Apéro aufgeräumt, viel Kuchen gegessen, Sekt getrunken; in den Klassen die Teestunde promotet... und dann war Gott sei Dank Feierabend. War anstrengend, aber mir gefällt es sehr gut. Früh aufstehen muss ich nicht - kann zwischen 9.30 und 10.00 anfangen zu arbeiten:-)

Ich hoffe, ich konnte euch einen kleinen Einblick in mein Leben hier geben. Ich werde von Zeit von Zeit ein Update hochschalten - sollte sich was Spannendes ergeben. Wie immer freue ich mich über jegliche Lebenszeichen eurerseits (Skype!Skype!Skype! meine Internetverbindung ist TOP!:D) und danke recht herzlich für's Intresse!

Mit den allerliebsten Grüssen,
Ursina